Bewegung im Tokitaizan-Fall

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Moderator: tsunamiko

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Watashi
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Bewegung im Tokitaizan-Fall

Beitrag von Watashi »

Die Polizei von Inuyama (Präfektur Aichi) hat verkündet, dass sie im Moment darauf hinarbeitet, Anfang Februar den ehemaligen Tokitsukaze oyakata (jetzt: Yamamoto) festzunehmen, und dass auch Anklage gegen 3-6 der rikishi des Tokitsukaze-beya erhoben werden soll. Als Todesursache werden jetzt die Misshandlungen durch den oyakata und die ani-deshi gesehen. Der Vorwurf lautet Körperverletzung mit Todesfolge (denke ich, Strafrecht ist nicht mein Gebiet). Laut Art. 205 Strafgesetz ist das mit einer Freiheitsstrafe ab 3 Jahren belegt.
Am wahrscheinlichsten soll das Crush-Syndrom (oder Verschüttungssyndrom) als direkte Todesursache sein. Das wird so genannt, weil es normalerweise bei Personen auftritt, die nach Erdbeben oder ähnlichen eingeklemmt oder verschüttet wurden. Dabei wird vor allem Muskelgewebe abgeklemmt und stirbt durch den Druck ab, wobei toxische Substanzen freigesetzt werden. Dieses Syndrom soll durch langwierige und wiederholte Misshandlungen durch die ranghöheren rikishi hervorgerufen worden sein (beginnend am Tag vor seinem Tod und fortgesetzt mit dem langen Training direkt vor seinem Zusammenbruch). (Mainichi Shinbun)

tainosen
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Re: Bewegung im Tokitaizan-Fall

Beitrag von tainosen »

Watashi hat geschrieben: Der Vorwurf lautet Körperverletzung mit Todesfolge (denke ich, Strafrecht ist nicht mein Gebiet). Laut Art. 205 Strafgesetz ist das mit einer Freiheitsstrafe ab 3 Jahren belegt.
Ganz ähnlich würde die Sache in Deutschland auch laufen. Man kann erkennen, dass das japanische Recht dem deutschen Recht ähnelt.
Auch hier wird Körperverletzung mit Todesfolge (§ 227 Strafgesetzbuch) mit einer Strafe ab 3 Jahre Freiheitsentzug belegt.
Etwas eigenwillig finde ich nur das Vorgehen der Polizei. Die Ankündigung :shock: , man wolle Anfang Februar einen dringend Tatverdächtigen verhaften, ist schon eigenartig.
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Watashi
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Beitrag von Watashi »

Es ist vollbracht. Die Polizei hat heute den ehemaligen Tokitsukaze oyakata und die drei hauptverdächtigen rikishi des Tokitsukaze-beya festgenommen. Weitere vier stehen unter Verdacht, beteiligt gewesen zu sein, ihr Anteil wird aber als weniger schwer gesehen, deshalb wurde von einer Verhaftung abgesehen.
Als Todesursache wurde nach einer erneuten Untersuchung durch die Patologie der Universität von Nagoya jetzt "Tod durch Schock infolge multipler Verletzungen" festgestellt. Das ist dasselbe Ergebnis, das schon eine Untersuchung der Universität von Niigata ergab, die auf Wunsch der Eltern nach seinem Tod durchgeführt wurde. (Mainichi Shinbun)

Das soll das erste Mal seit Gründung der Kyokai 1925 sein, dass es aufgrund des Trainings zu einer strafrechtlichen Untersuchung kommt. Dementsprechend aufgeregt sind auch die Medien. Bei der Vorsorgeuntersuchung, die im Moment im Kokugikan läuft, waren die meisten Tokitsukaze rikishi dabei, die drei jetzt festgenommenen haben sich allerdings nicht sehen lassen.
Da die Polizei angekündigt hatte, demnächst zur Verhaftung zu schreiten, hatte der frisch gewählte neue PR-Chef Kokonoe oyakata schon angekündigt, dass die Kyokai eine Pressekonferenz abgehalten werde, sobald man genaueres weiß. Daher tobten eine Menge Presseleute in und um den Kokugikan und am Tokitsukaze-beya (Foto) herum. Nachdem die Nachricht von der Verhaftung dann im Kokugikan ankam, stellte sich Kitanoumi riji-cho gegen 20.30 Uhr schließlich der Presse. (Mainichi Shinbun)

Die drei festgenommen rikishi sind:
- Akiyutaka (ehemaliger Tokitairyu, richtiger Name: Kimura Masakazu), 24, Absolvent der Tokyo Nogyo Daigaku (Tokyo Landwirtschaftsuniversität), die für Sumo bekannt ist, hatsu dohyo haru 2006, höchster Rang makushita 12, im aki basho 2007 als makushita 29o mit 5-2 vielversprechendes kachikoshi, danach wie alle drei kyujo, hatsu 2008 makushita 58w.

- Doto, (ehem. Soryuzan, richtiger Name: Izuka Yuichiro), 25, hatsu dohyo haru 1998, beim aki basho 2007 als sandanme 65w 5-2 kachikoshi, danach kyujo, hatsu 2008 jonidan 1o.

- Tokiomaru (ehem. Sokenzan, richtiger Name: Fujii Masanori), 22, hatsu dohyo haru 2004, aki basho 2007 als sandanme 96o 3-4 makekoshi, hatsu 2008 jonidan 86w. (Mainichi Shinbun)

Kitanoumi hat in der Pressekonferenz gesagt: "In der langen Geschichte (des Sumo) ist das ein wirklich bedauernswerter (furchtbarer) Zwischenfall. Da kann man nicht nur 'schade' sagen." (Mainichi Shinbun)
Frage: Wie wollen Sie die betroffenen rikishi bestrafen?
"Wir werden den Verlauf der strafrechtlichen Vorgänge beobachten und geeignete Maßnahmen ergreifen. Das ist dann ein Fall für die riji-kai."
Frage: Welche Probleme gab es bei der Strafverfolgung
"Da ich die Entwicklung und den Ablauf von jetzt an nicht kenne, will ich dahingehend keine Spekulationen anstellen."
Frage: Wie wollen sie das in Zukunft verhindern?
"Wir untersuchen in welchem Umfeld und welcher Situation es geschehen ist. Wir treiben die Untersuchungen des entsprechenden Komitees voran."
Frage: Wie wirkt sich das ihrer Meinung nach auf die anderen rikishi aus?
"Ich bin überzeugt, dass die rikishi sich in erster Linie auf ihre Arbeit im dohyo konzentrieren." (Mainichi Shinbun)

Watashi
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Beitrag von Watashi »

Noch ein paar Zusatzinfos:

Die Polizei sieht den ehemaligen Tokitsukaze oyakata als Hauptschuldigen. Auf einer Pressekonferenz hieß es: "Es geschah alles auf Anweisung des oyakata. Wäre er nicht gewesen, wäre es nicht dazu gekommen." Unter anderem soll er befohlen haben, Tokitaizan an die Teppo-Stange zu fesseln. Der Verstorbene soll das alles weitgehend schweigend ertragen haben.
Die Polizei musste sich jedoch auch Kritik anhören, warum die ganzen Ermittlungen sieben Monate gedauert haben. Heraus kam nur eine halbherzige Entschuldigung: "Wir hätten von Anfang an mit allem Ernst an die Sache herangehen müssen." (Nikkan Sports)

Auch das zuständige Ministerium für Erziehung und Wissenschaft hat schon von sich hören lassen. Der Staatssekretär Tatsunami ließ verlauten: "Wir wissen jetzt sicher, dass das das Schlimmste ist, was je in dieser (einer?) traditionellen Sportart geschehen ist. In der Geschichte des Sumo gab es bisher noch keinen solchen Schmutzfleck."
Morgen müssen Isenoumi oyakata (Leiter Lebensführungsabteilung) und Kokonoe oyakata (Leiter PR-Abteilung) beim Ministerium antreten und offiziell über die Verhaftung berichten. Danach will das Ministerium erneut seine Forderung nach Verhinderung eines solchen Vorfalls in der Zukunft bekräftigen.
Ein Vertreter der für Sumo zuständigen Abteilung für Sport und Jugendarbeit sagt: "In der Tradition des traditionellen Sports gibt es einen Teil, der hartes Training umfasst. Aber wenn sie ihr keiko nicht überdenken, werden sie in Zukunft auch keine neuen rikishi mehr anwerben können." (Nikkan Sports)

Auch das "gemeine Volk" macht sich so seine Gedanken. Beim Tokitsukaze-beya wurden auch besorgte Bürger gesichtet. Ein Mann in seinen 50ern sagte: "Es ist angemessen, wenn sie verhaftet werden. Schließlich ist ein Mensch gestorben. Aber hier im Sumida-ku (Stadtbezirk von Tokyo) unterstützen alle Leute die rikishi." Eine Frau in den Vierzigern: "Weil die rikishi ein Symbol von Japan sind, ist es wirklich schade, dass einige verhaftet wurden." (Jiji)

tainosen
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Re: Bewegung im Tokitaizan-Fall

Beitrag von tainosen »

In der aktuellen und 20. Ausgabe des Sumofanmagazins gibt es zur Problematik Tokitaizan einen interessanten Text von Michiko Kodama.

Als Reaktion des NSK auf dieses Vorkommnis werden die Shinai (Holzschwerter) aus den Heyas verbannt. Zurecht kritisiert Kodama diese Entscheidung.
Ebenso könnte man nach einem Mord mit einer Schusswaffe die Pistole vor Gericht stellen.

Ich persönlich schätze das Shinai. Man kann sich als Trainer darauf aufstützen, sich ohne zu bücken und den Schüler persönlich zu berühren mit dem Shinai auf Körperpunkte tippen, die eine falsche Bewegung machen oder falsche Spannung haben.

Also abgesehen von den Traditionen in Japan schießt der Verband hier über das Ziel hinaus. :?
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Akebono
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Re: Bewegung im Tokitaizan-Fall

Beitrag von Akebono »

Die Shinai gehören meiner Meinung nach einfach dazu. Vermutlich hat sie der NSK abgeschafft, damit die Presse auf keinen Fall schreiben kann, die würden selbst bei einem Totschlag (Tokitaizan-Fall) alles beim Alten lassen. Da geht es wohl darum, das stark angekratzte Image wieder aufzupolieren, was aber so nicht möglich ist.

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gernobono
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Re: Bewegung im Tokitaizan-Fall

Beitrag von gernobono »

Akebono hat geschrieben:Da geht es wohl darum, das stark angekratzte Image wieder aufzupolieren, was aber so nicht möglich ist.
da bin ich mir nicht so sicher....wer weiss, wie so eine geste in japan wirkt......dort ist es auch immer ganz wichtig sich öffentlich zu entschuldigen, was bei uns so gut wie nichts bedeutet.......und das nsk macht seine aktionen für japaner und nicht für die westliche welt.....

Akebono
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Re: Bewegung im Tokitaizan-Fall

Beitrag von Akebono »

Hallo Gernobono,

also du denkst wirklich an Dinge, die ich jetzt außen vor gelassen hätte. In Japan wirkt sowas ganz anders als im Westen. Gesten z.B. zählen im Land der aufgehenden Sonne enorm viel, was mir bei meiner Japanreise im Jahre 2004 auch aufgefallen ist. Eine öffentliche Entschuldigung hat da noch seinen Wert.

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