TAZ vom 29.12.2007 über den "Tod eines Sumo-Ringers&quo

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Moderator: tsunamiko

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Pedinishki
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TAZ vom 29.12.2007 über den "Tod eines Sumo-Ringers&quo

Beitrag von Pedinishki »

Ich bin eigentlich ein ganz netter Kerl.
Wenn ich Freunde hätte, würden die es bestätigen.

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Schnappamawashi
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Beitrag von Schnappamawashi »

sehr gut gemachter Bericht. Ich kann nicht verstehen, dass der Autor überhaupt keinen Zugang zu irgendwelchen Informationen aus den Heyas bekommen hat. Dies hätte sicherlich zur Aufklärung der westlich orientierten Menschen unserer Welt beigetragen. So ist ein sehr langer, intensiver Bericht entstanden, den der Autor notgedrungen ziemlich "erfinden" mußte.
Meine persönliche Meinung: Der Sumoverband muß an diesem Punkt dazulernen, um überhaupt nur ein bisschen Anerkennung in der großen Welt zu erhalten.
Ich selbst gehe davon aus, dass jeder unschuldig ist, solange nichts bewiesen ist. Aber abblocken gibt ja indirekt die Schuld zu.
Für unseren geliebten Traditionssport ist dieses Verhalten nicht förderlich.
Ich wäre für mehr "Ehrlichkeit". Dies hat dann überhaupt nichts mit dem Bruch der Tradition zu tun. Eine gewisse "korrekte Strenge" hat noch niemand geschadet. Ich glaube nämlich nicht, dass eine Jugendkriminalität, wie sie bei uns immer mehr ans Tageslicht tritt überhaupt ein Thema wäre, wenn die erziehung strenger wäre.
Ich weiß sicher, dass ich jetzt einige "provokative" Sprüche abgelassen habe, aber ich freue mich auch schon auf eure Meinung.
Gruß
Schnappamawashi :shock: :shock:

Flohru
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Beitrag von Flohru »

Also auf Diskussionen über Jugendkriminalität und Erziehung lass ich mich hier nicht rein, das wird an anderen Stellen schon genug aufgebauscht.
Aber den Artikel selbst will ich doch kurz kommentieren, den finde ich nämlich alles andere als "gut gemacht":

1.) wenn ein Bericht anfängt mit "Der japanische Traditonssport, ein Relikt aus der Feudalzeit, verweigert sich der Moderne und setzt auf harten Drill." dann deutet das schon stark auf die "Qualität" der weiteren Ausführungen hin. Erstens frag ich mich, ob für den Autor dann etwa Cricket ein Relikt aus der Kolonialzeit oder Schach ein Relikt aus der Antike ist und zweitens weiss ich nicht, ob sich Moderne und harter Drill wirklich so sehr widersprechen, wie uns der Autor Glauben schenken mag, vielleicht sollte er sich mal bei russischen Eiskunstläufern oder Kunstturnerinnen erkundigen oder bei den drill instructors in amerikanischen Boot Camps...

2.) Auch ohne Zugang zu Informationen aus den Heyas zu bekommen, hätte ein bisschen Recherche wohl genügt, um festzustellen, dass ein junger Sumotori mit dem Eintritt in den Stall keineswegs "seine persönliche Freiheit vollkommen verwirkt" hat oder "jede Stunde, jede Minute des Tages fremdbestimmt und abgeschottet von der Außenwelt im Regelkorsett des Trainingszentrums" verbringt. Auch den familiären Aspekt des Heya-Lebens lässt der Autor wohl bewusst außen vor.

3.) Meine Lieblingsstelle: "Die Ausstiegsquote liegt bei über 50 Prozent." Was genau will uns der Autor hier denn bitte sagen und woher hat er diese Zahl? Abgesehen davon, dass ein Ringer seine persönliche Freiheit wohl keinesfalls verwirkt hat, wenn er einfach aussteigen kann, ist es wohl eher so, dass die Ausstiegsquote (spätestens nach Ichinoyas Rücktritt) sogar bei 100% liegt, denn niemand ist sein ganzes Leben Sumoringer. ;-) Okay ein paar Prozent der Sekitori verbleiben im Sumoverband nach ihrem Rücktritt, aber trotzdem sagt dieses Zitat alles über die Qualität dieses Artikels...

Matitsuomi
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Beitrag von Matitsuomi »

Moin,
Flohru hat geschrieben:weiss ich nicht, ob sich Moderne und harter Drill wirklich so sehr widersprechen, wie uns der Autor Glauben schenken mag, vielleicht sollte er sich mal bei russischen Eiskunstläufern oder Kunstturnerinnen erkundigen oder bei den drill instructors in amerikanischen Boot Camps...
Ich denke, nicht so sehr die Existenz soll hier bestritten werden, sondern mehr die Vereinbarkeit "harten Drills" mit zeitgenössischen deutschen Wertvorstellungen, und gerade im Zusammenhang mit der Diskussion, die da aus Hessen kam (nein, ich will die Diskussion auch nicht führen) wurde ja auch deutlich, dass die Mehrheit der sich äußernden Boot Camps nach Art der USA eben für in Deutschland nicht geeignet halten. Auch die Berichte über chinesische Turnolympiahoffnungen sind meist eher streng negativ. In so fern ist das eine Linie, die man teilen kann (was ich tue) aber nicht muss, die aber in sich konsequent ist. Entscheidend für diese Einstufung ist die "deutsche" Sicht, nicht die Existenz irgendwo im vielleicht sogar befreundeten Ausland.
Flohru hat geschrieben:den familiären Aspekt des Heya-Lebens lässt der Autor wohl bewusst außen vor.
Nun, ich weiß nicht so genau, wie es beim Sumo ist, so sehr bin ich nicht Experte, eine "Zwangsfamilie" hat man anderswo auch mal, meine Exfreundin hatte da in der Firma schon erste Auswüchse. Das ist aber nicht mehr wirklich das, was vorher als "persönliche Freiheit" angesehen wurde. Das Maß, in dem man eine Einschränkung, die ja jeder Job hat (Olli Kahn musste Strafe zahlen, weil er eine Weihnachtsfeier zu früh verließ - auch eine Einschränkung der Freiheit) als "Verlust der Freiheit" sieht oder sehen will ist sicherlich diskutabel, aber gerade der "familiäre Aspekt" ist eher Teil der Freiheitseinschränkung denn Gegenargument, auch wenn er in der Summe positiv zu sehen sein mag.
Flohru hat geschrieben:Meine Lieblingsstelle: "Die Ausstiegsquote liegt bei über 50 Prozent." Was genau will uns der Autor hier denn bitte sagen und woher hat er diese Zahl?
Zugegeben, hier fehlt der Zeitrahmen. Die Freiheit, die (vermeintliche) Unfreiheit durch Ausstieg zu beenden sehe ich aber nicht als Rechtfertigung sonstiger Einschränkungen ein, dazu habe ich im Umfeld einer bekannten Sekte zu viel mitbekommen - auch wenn das was anderes ist - die einen auch aussteigen lassen. Irgendwie. Von daher will ich Dir hier gerne inhaltlich Recht geben, formal argumentatorisch aber nicht.

Grüße
Matitsuomi

Asashosakari
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Beitrag von Asashosakari »

Matitsuomi hat geschrieben:Zugegeben, hier fehlt der Zeitrahmen. Die Freiheit, die (vermeintliche) Unfreiheit durch Ausstieg zu beenden sehe ich aber nicht als Rechtfertigung sonstiger Einschränkungen ein, dazu habe ich im Umfeld einer bekannten Sekte zu viel mitbekommen - auch wenn das was anderes ist - die einen auch aussteigen lassen. Irgendwie.
Der Vergleich hinkt aber doch sehr. Von den physischen Trainings- und/oder Züchtigungsmethoden in den Heyas mag man halten, was man will, aber psychologische Indoktrination à la Sekten gehört ja nun definitiv nicht dazu. Druck zum Dabeibleiben erhalten die Frischlinge in einzelnen Fällen bestenfalls aus dem familiären Umfeld, was wohl laut Berichterstattung auch bei dem verstorbenen Tokitaizan der Fall war.

Aus dem Sumoleben auszusteigen, bedarf wahrlich nicht mehr als eines Fußmarsches zum nächstgelegenen Bahnhof und einer Fahrkarte für die U-Bahn bzw. den Vorortzug. (Hinweis: Selbst Jonokuchi-Rikishi erhalten alle zwei Monate 70.000 Yen Taschengeld, am Geld würde es also nicht scheitern.) Ob diese Zugfahrt in eine andere Zukunft dann tatsächlich auch in jedem einzelnen Fall positive Resultate haben würde, sei mal dahingestellt, aber mangelnde Alternativperspektiven kann man kaum der Sumowelt anlasten.

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Schnappamawashi
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Beitrag von Schnappamawashi »

Ich glaube eigentlich auch, dass die große Mehrheit der jungen Sumoringer sogar stolz ist, einem Heya anzugehören. Dort findet er oft genug neue freunde und auch die Anerkennung seiner Leistung, besonders wenn er eifrig bei der Sache ist. 50% Aussteiger ist auch nicht ungewöhnlich. Ich selbst führe einen Handwerksbetrieb und bilde regelmäßig aus. Eine übertrieben strenge oder besonderer Druck herrschen bei mir sicher nicht. 98% meiner AZUBIS machen auch die Gesellenprüfung. Aber in den Jahren danach bleiben höchstens die Hälfte der ausgebildeten Fachkräfte bei mir. Die anderen orientieren sich anders. Trotzdem ist daran nichts verwerfliches. So sehe ich das auch im Sumosport. früher oder später merkt der Eine oder Andere, dass es doch nicht das Richtige für ihn ist, Sumo zu betreiben und verlässt sein Heya. Und wenn das 50% tun, so kann es auch nicht so schwierig sein.
Fazit: Tradition ja - übermäßiger Druck sicher nicht.
Ausnahmen bestätigen die Regel.
wenn ich die Berichte unserer Freunde aus dem Forum lese, welche regelmäßig in Japan sind und auch Zutritt zu den Heyas haben, so wäre es für den Zeitungsreporter sicher gut gewesen, er hätte vorher Kontakt mit den Kollegen aufgenommen. dann hätte seine Japanreise wahrscheinlich erfolgreicher geendet. Außerdem sollte man auch den Herren der Sumo Kyokai Gelegenheit geben, etwas Abstand von der Sache zu gewinnen. Nach einem Viertel Jahr sieht alles besser aus.
Eine Widerholung des versuchs der Berichterstattung wäre angebracht.

Gruß
Schnappamawashi

Matitsuomi
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Beitrag von Matitsuomi »

Asashosakari hat geschrieben:Aus dem Sumoleben auszusteigen, bedarf wahrlich nicht mehr als eines Fußmarsches zum nächstgelegenen Bahnhof und einer Fahrkarte für die U-Bahn bzw. den Vorortzug. (Hinweis: Selbst Jonokuchi-Rikishi erhalten alle zwei Monate 70.000 Yen Taschengeld, am Geld würde es also nicht scheitern.) Ob diese Zugfahrt in eine andere Zukunft dann tatsächlich auch in jedem einzelnen Fall positive Resultate haben würde, sei mal dahingestellt, aber mangelnde Alternativperspektiven kann man kaum der Sumowelt anlasten.
Du hattest oben einen Satz aus dem Zitat weggelassen, den ich gerne als Antwort geben möchte: ich gebe Dir inhaltlich recht, aber formal war die Argumentation "Man kann ja einfach gehen" nicht voll durchschlagend. Ich weiß diesbezüglich nicht, wie der soziale Druck in Japan funktioniert - bei "Aussteigern" war das in den 80ern allgemein laut einer mir bekannten japanischen Familie übel (auch und gerade in normalen Firmen), hat sich aber doch massiv gebessert. Keine Ahnung, wie das beim Sumo ist.

Falsche bzw. fehlende Perspektiven würde ich allerdings auch nicht dem Sumo anlasten. Das dürfte an sich jeden Profisportler, aber auch jeden Profikünstler betreffen - wenn die Karriere nicht klappt, hat man nicht viel für das "wirkliche Leben" mitgenommen. Fast wie ein Studium ;)

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